Wenn der Bundestag ein Web-Projekt in Auftrag gibt ...

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Der Deutsche Bundestag hat im Frühjahr dieses Jahres die Erstellung einer neuen, professionellen und barrierefreien Website für Online-Petitionen ausgeschrieben. Diese sollte zum 1. Oktober fertig sein, bisher sind aber nur kryptische Fehlermeldungen und Hinweise auf Acrobat- und JavaScript-Pflicht (huch, wie war das mit der Barrierefreiheit?) zu sehen.

Update, 11.11. 2008: In der Zwischenzeit ist das neue E-Petitionssystem nicht nur Online, ich habe auch die versprochene Analyse geschrieben: Web 1.0 mit dem Bundestag.

Update, 21:30: Im Laufe des Tages wurden die Fehlermeldungen ersetzt. Wenn alles fertig ist, werde ich es mir genauer anschauen.

Update, 22:10: Bei Safari kommen immer noch die Fehlermeldungen wie in den Screenshots unten, mit Firefox kommt ein Formular zum Einreichen einer Petition; nur die erste Seite (erster Screenshot) ist bei beiden Browsern gleich.

startseite.png

Ausschreibungen öffentlicher Stellen sind ja eine Wissenschaft für sich. Und da die ausschreibende Stelle auf das „wirtschaftlichste“ Angebot – also zumeist ein besonders preisgünstiges – eingehen muss, ist das Endprodukt nicht immer von höchster Qualität.

Im Frühjahr habe ich mit Rolf, Dragan und Matthias an der besagten Ausschreibung des Deutschen Bundestages für Online-Petitionen und ein dazugehöriges Diskussionsforum teilgenommen. Die Teilnahme bot sich insbesondere an, da Dragan und ich bei der Erstellung von Unterschriftenlisten mit integrierten Foren schon reichlich Erfahrungen gesammelt und aus so manchem Fehler gelernt haben, und wir alle haben umfangreiche Erfahrungen mit High-Performance-Web-Applikationen. Unser Vorschlag basierte natürlich auf Perl (mod_perl), aber das ist diesmal ausnahmsweise nicht das Thema ...

alert.png

Natürlich haben wir uns keine sonderlich hohen Chancen auf den Zuschlag eingebildet, schließlich hatten wir bisher keine Erfahrung mit öffentlichen Ausschreibungen und viele Firmen lassen solche aufgrund der komplexen Materie gleich die juristische Abteilung oder zumindest den Teilzeitjuristen bearbeiten. Zudem war unser Angebot mit Sicherheit nicht das günstigste. Dies versuchten wir aber mit technischem Fachwissen und einem guten Konzept wieder wett zu machen. Hat nicht geklappt, eine andere Firma bekam den Zuschlag. Leider sind die Gründe bei öffentlichen Ausschreibungen nicht wirklich in Erfahrung zu bringen, ebensowenig wie gut ein Konzept/Angebot bei den Entscheidern ankam. Schade, denn so kann man sowas beim nächsten Mal nur schwer besser machen.

willkommen-fehler.png

Nun, zum 1. Oktober sollte die neue Online-Petitions-Website wie gesagt stehen. Bis heute ist sie aber nicht im Einsatz. Ja, IT-Projekte verschieben sich nunmal hin und wieder.

Aber dafür sind spätestens seit rund drei Wochen (Datum der Bildschirmfotos: 22. September) peinliche Fehler online. Jeder normale Nutzer der Bundestags-Website, der sich über den gewöhnlichen Weg zum Einreichen einer Petition durchschlägt, wird mit einer kryptischen JavaScript-Fehlermeldung konfrontiert (can't get form "/petitionsformular1") und danach erscheint eine Dummy-Seite, über deren linke Navigation man den „Formularkatalog Allgemeine Formulare“ erreicht, der wiederum eine Reihe von Dummy-Einträgen hat.

formularliste.png

Dort lassen sich „Petitionsformulare“ herunterladen, die aber nur aus einem vermutlich proprietären Dateitformat bestehen. Aufgrund der Dateiendung .ffwp und des in der URL angezeigten Logos scheint es sich um das Dateiformat einer Windows-Anwendung der Firma Lucom zu handeln, mit dem man offline Formulare ausfüllen kann, die man online laut Selbstdarstellung mit einer WebAnwendung ausfüllen kann. Der Hersteller wirbt damit, dass die Online-Formulare so aussehen wie Papierformulare, und auf der Bundestags-Website steht als Voraussetzung der Acrobat Reader.. Tja, wer wenig Ahnung vom Internet hat, lässt sich mit sowas natürlich gut ködern, denn Papier, das kennt er ja ...

formular-info.png

Sollte dies tatsächlich das neue Online-Petitions-Verfahren sein frage ich mich: Hey, wie wollen die damit eine Barrierefreiheit nach BITV erreichen und den Ausschreibungsunterlagen gerecht werden?

 

Über ein paar verschlungene Wege kommt man auch noch auf eine Übersicht über die Petitionen, was wohl nichts weiter als ein typisches lineares Board („Forum“) ist, realisiert mit dem Simple Machines Forum, eine PHP/MySQL-Applikation mit ungewöhnlicher Lizenz.

 

Auf den ersten Blick fallen neben den bisherigen Bugs eine Reihe Widersprüche zu der ursprünglichen Ausschreibung auf. Es werden wohl diverse lizenzpflichtige Komponenten genutzt, obwohl in der Ausschreibung ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass dies nicht erwünscht sei – neben den FormsForWeb ist das MySQL, bei dem in der Konstellation beim Bundestag Lizenzkosten anfallen. Und bei JavaScript-Zwang kann von Barrierefreiheit keine Rede sein, und ein Mischmasch aus Board-System und Formulargenerator erscheint mir nicht sehr benutzerfreundlich.

Aber mal abwarten, vielleicht wird es ja alles noch ganz toll ...

Update: Das neue System ist jetzt fertig. Es ist nur noch die Umsetzung mit dem Simple Machines Forum online, die andere Variante ist nicht mehr vorhanden. Aber es ist leider schlimmer als erwartet.

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3 Kommentare

Das Schlimme ist ja eigentlich nicht so sehr, dass die einzelnen Komponenten (voraussichtlich, man weiß es ja noch nicht genau) wohl die Ausschreibungs-Forderungen nicht erfüllen werden. Schlimm ist, dass die Beratung fehlt. Irgendwo muss doch da ein Mensch sitzen, der das Zeug abnimmt und der prüfen muss, ob die Anforderungen erfüllt werden. Lässt der sich einfach abspeisen mit "ach, das machen wir jetzt eben so, ist billiger"?

Was erwartest Du denn von dem Gesocks? Unsere Volkszertreter sind doch nicht für Kompetenz bekannt.

A. Nonym: Selbstverständlich kümmert sich die Verwaltung um solche Sachen wie die Website oder Online-Petitionen, die Abgeordneten sind dann eher mit den inhaltlichen Fragen der Petitionen beschäftigt.
Und von der Verwaltung sollte man annehmen, dass die betroffenen Personen gewissenhaft arbeiten und sich entweder auskennen oder sich jemanden besorgen der sich auskennt.
Aber mal abwarten, der Start ist ein wenig holprig und vielleicht fängt sich das ganze ja noch – auch wenn ich im Augenblick nicht so recht dran glaube und alles eher dilettantisch aussieht.

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